Ansichten von Frauen
... Photobooks are commonly discussed, especially since the books about photobooks industry started to take off. There are many reasons why those kinds of books are doing the community a huge favour. After all, not only do they discuss the medium photobook in ways that it truly deserves, they also expose a lot of unknown books to a larger audience. Except, of course, that often enough you then see those books listed on Ebay, say, with, for example, “Parr/Badger” included in the subject line... Read for more ...
2. Dezember 1977, 7:00 Uhr
Zeitgenössische Photographie ist ein Gebrauchsgegenstand. Sie dokumentiert das Alltägliche in jeder Tageszeitung, hält es fest und behauptet, daß es so gewesen sei. Oder sie verändert das Alltägliche, indem sie es – in der Werbung – neu dekoriert, verschönert und behauptet, daß es so sein müsse. Da Photographie die Realität durch einen Apparat hindurch wiedergibt, ist man geneigt, ihr Glauben zu schenken.
Damit scheint das Objektiv ein untaugliches Mittel für subjektive Interpretation zu sein. Natürlich ist das nicht wahr. Jedes Photo interpretiert zugleich, weil es selektiert, es spiegelt eine unvollständige und deshalb subjektive Wirklichkeit wider. Daß sie so einheitlich ist, so glaubwürdig sogar in einer Anzeige, liegt an dem mangelnden Interesse, das der Photographie heute entgegengebracht wird: Für die „andere Wirklichkeit“ sind andere zuständig, Künstler, Schreiber, Literaten.
Eva Kroth, achtundzwanzigjährige Photographin aus Hamburg, hat jetzt den Versuch unternommen, ein ständig abgelichtetes Photo-Objekt neu zu sehen. Ihre Sammlung –
Eva Kroth: „Ansichten von Frauen“, Zweitausendeins Versand, Frankfurt am Main, 1977; Abb., 17,– DM
ist Ausdruck einer konsequenten Verzweiflung über heutige Photographie und gerade deshalb geeignet, sie zu rehabilitieren.
„Ansichten von Frauen“ ist bewußt im doppeldeutigen Sinn gemeint. Hier werden Frauen angesehen, aber sie sehen auch an: die Welt, die Kamera, die Photographin, sich selbst. In den drei Jahren, die Eva Kroth an dem Buch gearbeitet hat, photographierte sie über 300 Frauen, unterhielt sich mit ihnen, bat sie, ihre Situation zu schildern und filterte aus den Gesprächen Sätze, die jetzt – man kann es nicht anders sagen – die Photos illustrieren. Denn die Geschichte erzählen die optischen „Ansichten“.
Alle Frauen sind ausdrücklich zum Zweck des Photographiertwerdens vor die Kamera gesetzt worden: Eva Kroth verfährt mit den Mitteln und der Ästhetik eines Werbephotographen, sie läßt ihre Modelle sich darstellen, zieht sie teilweise sogar aus. Aber ihre Optik ist von dem Voyeurismus üblicher Frauenphotographie weit entfernt, weil sie nicht am Objekt, sondern am Subjekt Frau interessiert ist: „Wer bist du?“
Viele ihrer Partnerinnen vor dem Objektiv hat diese Frage erkennbar in Verlegenheit gestürzt. Ertappt, verunsichert, wirken sie, als ob sie zum erstenmal so klar nach sich selbst gefragt worden seien, rasch irgendeine Identität zusammengescharrt hätten und nun erschrocken etwas präsentieren, was dieses „Ich“ sein könnte. Persönlichkeiten sind die wenigsten, das zaghafte Angebot dominiert. Hat Eva Kroth ihre Frauen überfordert? Es ist schon mitleiderregend, wie sehr sich manche der Photographierten bemüht haben, der Photographin zu gefallen. Sie blicken in die Kamera wie Schneewittchen in den Spiegel, sie sind es nicht gewohnt, als Mensch angeschaut zu werden und weigern sich einfach, etwas anderes als Objekt zu sein.
Die Bildtexte verstärken diesen Eindruck oft noch, indem sie in krassem Widerspruch zur Aussage des Photos stehen. Da verkündet ein zweiundzwanzigjähriges „Photomodell“ (die Frauen haben ihre Berufsbezeichnungen selber angegeben): „Irgendwann habe ich gemerkt, wie ich sein muß, um auf bestimmte Leute zu wirken. Im Grunde bin ich Realist. Mein Aussehen ist mein Kapital.“ Oder die dreiunddreißigjährige Sekretärin, mit nacktem Oberkörper ergeben vor der Kamera posierend: „Eigentlich finde ich mich ganz gut so wie ich bin.“
Die Photographin Eva Kroth verzärtelt ihre Objekte nicht. Sie weigert sich, sie schöner zu zeigen als sie sind, verzichtet auf Weichzeichner und ähnliche photographische Vernebelungseffekte, präsentiert – in harten Schwarzweißphotos – ein Frauenbild, von dem sie im Vorwort des Buches sagt: „Das Resultat meiner Arbeit entspricht für mich der Realität, aber ich weiß, daß es meine persönliche Realität ist.“
Manchen der porträtierten Frauen war es durchaus nicht angenehm, so gesehen zu werden. Was von der Photographin als persönliche Betroffenheit in der Begegnung mit ihnen empfunden wurde, das menschliche Unglück und die Unsicherheit, die in vielen Photos zum Ausdruck kommt, haben sie als bewußte Diffamierung verstanden: Hier sei eine Frauenhasserin am Werk gewesen, meinten einige.
Heinrich Böll hat bei der Büchner-Preisverleihung an Reiner Kunze gesagt: „Es gibt ein uraltes, nicht nur deutsches Mißverständnis zwischen Autoren und Politikern; letztere bilden sich einfach zu viel ein, wenn sie durch Romane, Gedichte, Erzählungen, Dramen sich beleidigt fühlen, weil die Welt, die sie geschaffen haben, in Wirklichkeit schöner sei als dort dargeboten.“
Eva Kroth verteidigt ihre Wirklichkeit in der Photographie gegen eine Übermacht anderer, schönerer Wirklichkeiten. Sie versteht sich damit als Repräsentantin einer Reihe von aufklärerischen, sozial engagierten Photographen, wie zum Beispiel der 1964 gestorbene August Sander es war. Sander porträtierte Menschen seiner Zeit, was damals hieß: Männer.
Sabine Rosenbladt
MENSCHEN MIT DER KAMERA AUFSPIESSEN
Die Photographische Sammlung / SK Stiftung Kultur richtet August Sander, dem Plattenkamera-Soziologen und Schmetterlingssammler unter den Fotografen, eine große Jubiläumsausstellung anlässlich seines 50. Todestages aus. Gezeigt werden »Meisterwerke und Entdeckungen«.
TEXT: ANDREJ KLAHN
Der Blick ins Atelier ließe kaum vermuten, dass dort ein Mann am Werk ist, der zum deutschen Ahnherren des dokumentarischen Stils in der Fotografie werden sollte. Im weißen Malerkittel, mit Pinsel und Farbpallette sitzt August Sander vor einem Landschaftsbild. An den Wänden drängeln sich fertig gestellte Gemälde bis über Kopfhöhe hinaus, bewacht von einem Zähne fletschenden Eisbären-Teppich. Aufgenommen wurde das Foto 1905 in Linz, wo Sander ein »Atelier für bildmäßige Photographie« führte, das er wahlweise auch als »Kunst-Anstalt für Moderne Photographie und Malerei« bezeichnete. Zu einer Zeit, als der 1876 im siegerländischen Herdorf geborene Sohn eines Grubenzimmermanns noch nicht an seinem fotografischen Großprojekt »Menschen des 20. Jahrhunderts« arbeitete, das in »absoluter Naturtreue ein Zeitbild unserer Zeit« zeichnen sollte.
In Linz ist der junge Sander noch weit davon entfernt, mit der Großbildkamera Soziologie betreiben zu wollen. Er hat künstlerische Ambitionen, möchte Maler werden, denn der Fotograf gilt noch als Handwerker. Was an den Wänden seines Ateliers hängt, legt die Vermutung nahe, dass Sanders malerische Versuche ganz in der realistischen Tradition des 19. Jahrhunderts stehen. Man könnte auch sagen: Sie lassen in ihrer Naturtreue den fotografischen Blick erkennen. Während die Fotos, die Sander in dieser Zeit anfertigt, mit Retusche und Edeldruckverfahren zum Malerischen tendieren.
Es sollte lange dauern, bis der Autodidakt dann doch noch zum Künstler wird. Mitte der 1920er Jahre, Sander betreibt mittlerweile ein Atelier auf der Dürener Straße im Kölner Stadtteil Lindenthal, entwirft der Fotograf sein später modifiziertes Konzept für die epochalen »Menschen des 20. Jahrhunderts«. Ein »Kulturwerk in Lichtbildern« möchte er schaffen, nach Ständen geordnet und eingeteilt in sieben Gruppen: der Bauer, der Handwerker, die Frau, die Stände, die Künstler, die Großstadt und die letzten Menschen. Und es ist wohl kein Zufall, dass die Idee, Menschen nach Typen zu sortieren, ausgerechnet in der Zeit der unruhigen Weimarer Republik entsteht. Die wilhelminische Gesellschaft befindet sich in Auflösung und mit ihr all das, was Lebensentwürfen wohl oder übel Halt verleihen kann: Klassengrenzen werden durchlässiger, Hierarchien geraten durcheinander, Routinen und Konventionen werden neu ausgehandelt. In diesen Jahren bildet sich eine Art Gegenprogramm zur sozialen Mobilität heraus, das Helmut Lethen einmal als »Furor des Rasterns« beschrieben hat. Auf der Suche nach Stabilität in der Unordnung wird klassifiziert und typologisiert: von der Handschrift über den Charakter und Körperbau bis hin zur Rasse.
Vor diesem Hintergrund hatte der Sozialwissenschaftler Max Weber seine Zunft in dem 1920 erschienenen Aufsatz »Wissenschaft als Beruf« mit viel heldenhafter Emphase auf Nüchternheit eingeschworen. Wie später auch Sander, fordert er ein rückhaltloses Bekenntnis zum Zeitalter ein. Es gelte, dem »Schicksal der Zeit in sein ernstes Antlitz« zu blicken und es »männlich« zu ertragen. August Sanders kurze Programmschrift, die anlässlich der ersten Ausstellung seiner »Menschen des 20. Jahrhunderts« im Kölnischen Kunstverein 1927 erscheint, liest sich wie ein Echo auf solch neusachliche Appelle. Er müsse, heißt es da, als »gesunder Mensch so unbescheiden« sein, »die Dinge so zu sehen, wie sie sind und nicht wie sie sein sollen oder können«. Nichts, so lässt Sander sein Publikum wissen, sei ihm verhasster als »überzuckerte Photographie mit Mätzchen, Posen und Effekten«.
Damit ist der Konzept-Künstler August Sander geboren, der das Gesellschaftsporträt seiner Zeit aus einer Vielzahl von Einzelbildern zusammensetzen will, um hinter dem Individuellen die allgemeine Struktur sichtbar zu machen. Der 2005 verstorbene Sammler und Kurator Leo Fritz Gruber, der nach dem Krieg maßgeblich dazu beigetragen hat, Sander bekannt zu machen, hat dieses gewaltige Vorhaben mit der Tätigkeit des Insektenkundlers verglichen: Sander habe die Menschen wie Schmetterlinge mit der Kamera aufgespießt.
Nur dass die Beute des Entomologen nicht in Schaukästen, sondern in Mappen aufbewahrt wird. Allein für die Gruppe »Der Bauer«, die so genannte Stammmappe der »Menschen des 20. Jahrhunderts«, sah das Urkonzept sieben Untergliederungen vor, für den Jungbauern genauso wie für das Bauernkind und seine Mutter oder den Bauern und die Maschine. In seine Mappen fügt Sander auch solche Porträts ein, die Jahre zuvor in einem ganz anderen Verwertungszusammenhang entstanden sind. Der Großteil ist Auftragsarbeit. Bis zuletzt wird der Künstler August Sander also ein Zwilling des Berufsfotografen bleiben und sich darin von den industriearchitektonischen Archäologen Bernd und Hilla Becher unterscheiden, die Sanders Einfluss auf die eigene typologische Arbeit immer betont, jedoch eine eigens für ihr Vorhaben ausgeprägte Bildsprache entwickelt haben.
Der Fotograf betreibe »vergleichende Photographie«, schreibt Alfred Döblin in seinem Vorwort zum Bildband »Antlitz der Zeit«, in dem Sander 1929 sechzig seiner »Menschen des 20. Jahrhunderts« erstmals in Buchform vorstellt. Darin finden sich die heute berühmtesten Gesichter aus Sanders Sammlung. Als Vintage-Prints sind sie in der Kölner Ausstellung zu sehen: der 1928 aufgenommene Konditor, ein dickleibig-kurzhalsiger, schnauzbärtiger Mann im fleckenlos hellen Kittel. Sein Blick ist – wie auf nahezu allen Sander-Porträts üblich – direkt in die Kamera gerichtet. In der rechten Hand hält der Kahlkopf einen Löffel, mit dem er in einem silbernen Bottich herumrührt. Dahinter lösen sich die Konturen der Werkstatt in Dunkelheit und Unschärfe auf.
Oder die berühmten Jungbauern, die Sander 1914 auf einem Feldweg im Westerwald abgelichtet hat. Drei herausgeputzte junge Männer im Sonntagsanzug, die sich mit lässiger Eleganz auf ihre Spazierstöcke stützen. Erwartungsvoll sehen sie aus, stolz, vielleicht auch ein bisschen hochmütig. Dass dieses Bild zu einer Ikone der Fotografie wurde, lässt sich schwerlich durch die handwerkliche Qualität der Aufnahme erklären. Eher schon dadurch, dass die Frage nach der Richtung, in die diese Bauern unterwegs sind, von der Weltgeschichte beantwortet worden ist. Kurz nach der Aufnahme bricht der Erste Weltkrieg aus, und einer der Jungbauern wird ihn nicht überleben. Mit dem Wissen um diese historische Pointe sieht der Betrachter drei Männer auf dem Weg zum Totentanz.
Die Ausstellung verengt den Jubiläums-Fokus jedoch nicht auf den Säulenheiligen der sachlichen Porträt-Fotografie. Gezeigt werden neben Landschaftsaufnahmen auch Kuriositäten wie ein Porträt des zerzausten Fotografen nach dem Mittagsschlaf, aufgenommen von seiner Assistentin; dazu weniger bekannte Werkgruppen, die teils schon in Ausstellungen der Photographischen Sammlung zu entdecken waren. Darunter etwa eine kleine Auswahl aus dem über 300 Aufnahmen umfassenden Sardinien-Konvolut. Entstanden ist es 1927 während einer Reise, die Sander zusammen mit dem Schriftsteller Ludwig Mathar unternommen hat. Sander wollte den fernen Kulturraum mit der Kamera vermessen und Szenen des einfachen sardischen Landlebens einfangen. Seinem Programm bleibt er dabei auch fernab der Heimat treu und porträtiert die Einheimischen meist frontal bei natürlichem Licht.
Dass Sander lange Zeit in Kategorien der bildenden Kunst dachte, zeigt eine »Studien, der Mensch« betitelte Werkgruppe. Unter diesem Titel versammelt er an Skizzen erinnernde Detailansichten von Händen und Fingern, die er in den 1920er Jahren teils aus vorhandenen Porträts heraus vergrößert, teils eigens für die Serie anfertigt. Knapp hundert Jahre später darf man darin kaum mehr als Fingerübungen eines Mannes erkennen, der sich selbst wohl nie hätte träumen lassen, dass er einmal als Alter Meister in die Geschichte der Fotografie eingehen würde.
»August Sander – Meisterwerke und Entdeckungen«, bis zum 3. August 2014 in der Photographischen Sammlung / SK Stiftung Kultur. www.sk-kultur.de
Agneta Maria Jilek
DER ARBEITERSTAAT IM BILD
DIE REPRÄSENTATION VON ARBEIT IN DER KÜNSTLERISCHEN FOTOGRAFIE DER 1970ER UND 80ER JAHRE IN DER DDR
Dissertation an der Hochschule für Grafik und Buchkunst, Leipzig, Juniorprof. Dr. Friedrich Tietjen, Beginn: Januar 2011, Art der Finanzierung: Promotionsstipendium der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Kontakt: a.jilek@web.de
Erschienen in: Fotogeschichte 121, 2011
In der DDR wurde eine Bildpolitik etabliert, in deren Zentrum der Arbeiter als Personifikation des staatlichen Aufbaus stand.[1] Dieses Bildprogramm unterlag analog zum Wechsel von der Ulbricht- zur Honeckerära einem Wandel: Nach dem Machtantritt Erich Honeckers entwickelte sich der Kanon des „Sozialistischen Realismus“ hin zu einer größeren Alltagsnähe. Ziel der Dissertation ist es, die Genese der Darstellung des arbeitenden Menschen in der sozialdokumentarischen DDR-Fotografie der 1970er und 80er Jahre zu zeigen. Anhand des fotografischen Bildes der Arbeit soll dabei der Frage nachgegangen werden, wie die auf dem Normenkonzept des Sozialistischen Realismus basierende Bildpolitik der DDR von den Künstlern verinnerlicht und in deren Arbeiten transformiert wurde.
Für viele Künstler in der DDR war die Darstellung des arbeitenden Menschen eine elementare bildkünstlerische Aufgabe, weil sie sich an einem Kunstmodell orientierten, das sich aus dem Normenkonzept des Sozialistischen Realismus heraus entwickelt hatte. Im Zentrum der ideologisierten staatlichen Auftragsfotografie und der künstlerisch „unabhängigen“ Fotografie stand dabei jeweils das Bild des Menschen als Synonym der erwünschten bzw. konkreten gesellschaftlichen Verhältnisse. Auftragsfotografen waren verpflichtet, die Ideale und Grundwerte der sozialistischen Ideologie, in erster Linie ausgehend vom Bild des arbeitenden Menschen, in die Ikonografie der Fotografie zu transportieren, um die ideale sozialistische Gesellschaft zu visualisieren. Die seit 1951 in der DDR auf dem Gebiet der bildenden Kunst insbesondere für die Malerei geführte „Formalismus-Debatte“ wurde von Beginn an auch auf den Bildjournalismus übertragen, wobei die spezifischen Eigenschaften des fotografischen Mediums jedoch nicht berücksichtigt wurden. Die realistische Abbildung diente als Transportvehikel für den ideologischen Inhalt. Dabei stand in den 1950er Jahren im Mittelpunkt der Berichterstattung vor allem der heroisierte Arbeiter, der aktiv am Aufbau des Staates beteiligt war. In den 1970er Jahren vollzog sich laut Paul Kaiser innerhalb der offiziellen fotografischen Bildwelten ein Wandel vom „starren Stildiktat“ des rigiden sozialistischen Idealismus hin zu einem „fluiden Integrationsmodell“ im Sinne eines alltagsnahen Realismus.[2] Die Folgen dieser Wandlung schlugen sich schließlich auch in den sozialdokumentarischen Konzepten von Fotografen in der DDR nieder. Die Realität des „real existierenden Sozialismus“ sickerte in die künstlerische Thematisierung von Arbeit ein. Besonders im letzten Jahrzehnt der DDR wurden schließlich menschenunwürdige Arbeitsumstände in den Betrieben thematisiert und müde, desillusionierte Arbeiter an Stelle heroischer gezeigt – jedoch ohne die Grenzen des Bildmusters aufzuweichen.
Politische Einflussfaktoren wurden bei der Betrachtung von DDR-Fotografie in der Forschung bisher weitgehend ausgeblendet, nicht zuletzt weil die Tradition des Sozialistischen Realismus über das Ende der DDR hinaus keine Fortsetzung gefunden hat. Eine differenzierte Analyse des Sozialistischen Realismus in Bezug auf die künstlerische Fotografie der DDR und in seinen Bezügen und Reaktionen sowohl auf die gleichzeitigen Entwicklungen im Westen und im Verhältnis zur Fotografie der 1920er Jahre und des Nationalsozialismus steht also noch aus. Für die geplante Dissertation ist es in diesem Zusammenhang wichtig, die Rolle und den Wirkungsgrad der DDR-Fotografietheorie auf die künstlerische Fotografie, beginnend bei der Lehre an der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig, die ab 1963 die einzige Ausbildungsstätte für künstlerische Fotografie in der DDR war, zu untersuchen.
[1] Paul Kaiser: Arbeiterlob im Kunstkombinat. Zum Wandel des Bildprogramms in Malerei und Fotografie, in: Fotogeschichte, Heft 102, 2006, S. 4.
[2] Ebenda.
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