dinsdag 27 mei 2014

The Broken Cars of New York 1972 Jürgen Becker Photography


Des Dichters Rückblick

Vor vierzig Jahren reiste der Kölner Schriftsteller Jürgen Becker im Rahmen eines Stipendiums des Goethe-Instituts durch die USA und hielt sich im Anschluss daran einige Wochen in New York auf. Dort fotografierte er täglich entlang des Broadways Szenen der Großstadt. Die erst jüngst wieder aufgefundenen Straßenbilder der US-Metropole sind Schwarzweiß-Dokumente mit einem eigenen Reiz.

New York 1972 © Jürgen Becker

Es sind die Zufälle im Leben, die den Weg zu ungewöhnlichen Dingen öffnen. Im Falle des Lyrikers und Hörspielautors Jürgen Becker (*1932) war es ein wieder aufgefundener alter Wäschekorb im heimischen Archiv, verdeckt hinter Papierstapeln unter einer Dachschräge. Der Inhalt: Dutzende von Tüten mit Schwarzweiß- Fotos und noch nicht entwickelte Filmrollen aus dem März des Jahres 1972, als der damals Vierzigjährige in New York weilte.
   Ein repräsentativer Querschnitt dieses Foto-Konvoluts erschien jetzt als Bildband. Die systematische Sichtung,  Auswahl und Ordnung der Fotografien und ihre Herausgabe arrangierten der Sohn des Literaten, der Kölner Fotograf und Becher-Schüler Boris Becker (*1961) und dessen Gattin Gabriele. Der Bildband begleitet die Foto-Ausstellung „Jürgen Becker New York 1972“, die anlässlich des 80. Geburtstages des Prosaisten ab September im Projektraum des Sprungturm Verlages in der Domstadt gezeigt wird.

Ein fotografierender Literat

Es ist nicht das erste Mal, dass der renommierte Schriftsteller das Visuelle in seine Arbeit einbezieht. Eher ist es, so erscheint es mit Blick auf zurückliegende Jahre, ein für Jürgen Becker fast typischer künstlerischer Ansatz. Bereits 1971 verschmolz er in dem Suhrkamp-Taschenbuch Eine Zeit ohne Wörter sein literarisches Schaffen mit dem Medium Fotografie. Becker betont heute, dass er damit versuchte „…die aus dem Sehen hervorgegangenen Impulse meines Schreibens in einem Medium zu verwirklichen, das meinen damaligen Konzepten zu entsprechen schien. Es waren Konzepte außerhalb der Sprache, Aufenthalte im Schweigen … wobei ich mit der Kamera die Möglichkeit fand, eine Korrespondenz mit der umgebenden Wirklichkeit zu suchen.“

New York 1972 © Jürgen Becker

Ab 1980 dienten Collagen seiner Frau, der Malerin Rango Bohne, als optische Inspiration für literarische Werke wie die Gedichtbände Fenster ohne Stimmen (1982) oder Korrespondenzen mit Landschaft (1996). Der Foto-/Lyrikband Geräumtes Gelände (1995) wiederum kombinierte Texte Beckers (Senior) mit eindrücklichen Architekturfotografien Beckers (Junior); die beiden wort- wie bildgewaltigen Künstler thematisierten darin landschaftliche Veränderungen nach der Wende und der deutschen Wiedervereinigung.

Visuelles Tagebuch

Die nun zu sehenden Fotos aus den Straßen des New Yorks der frühen Siebziger stellen eine Art visuelles Tagebuch dar. Alltägliche, wiederkehrende, banale Szenen einer Stadt: eilende oder verträumte Passanten, anonyme Gesichter, Straßenkreuzungen mit Straßenkreuzern, Schaufenster, Reklameschriften und Fassaden in einem „…fortwährenden Strom von Motiven, auf die ich unmittelbar, ohne langes Nachdenken, mit meiner kleinen Rollei reagierte“, so Jürgen Becker im Nachgang über seine Streifzüge, die für ihn so faszinierend waren und die er auch noch nach vierzig Jahren als „sinnliche Erfahrung“ beschreibt.

New York 1972 © Jürgen Becker

Seine Fotografien sind für ihn „Bild-Ereignisse“ mit der Dokumentation von Situationen, wo die Kamera das fest hielt, was der Schriftsteller in ihm noch nicht in Worte fassen konnte. Seine Aufnahmen zeigen das Leben der Stadt: ungeschminkt, einfach wie eindringlich.
    Vier Jahrzehnte blieben die Fotos liegen, ohne dass der Literat sie sich noch einmal anschaute. Schlimmer noch: Er hatte nach New York aufgehört, zu fotografieren, nachdem er beim Leiter des Suhrkamp-Verlages Siegfried Unseld ( 1924-2002 ) - der mehr an Wörten als Bildern interessiert war - mit seinem Vorschlag, aus den New Yorker Straßenfotos ein Buch zu machen, abgeblitzt war. Dankenswerter Weise sind sie nun doch zu sehen.

► Jürgen Becker wurde 1932 in Köln geboren und ist seit 1968 freier Schriftsteller. Er gilt als „graue Eminenz der deutschen Gegenwartsliteratur“ (Suhrkamp Insel Verlag). In seinen frühen Phasen galt Becker als Vertreter der experimentellen Literatur. Herausragend sind hier seine Prosabücher Felder (1964) und Ränder (1968), in denen die Grenzen zwischen Prosa, Dramatik und Lyrik zerfließen. Als Hörspielautor (u.a. Häuser 1969) setzte er entscheidende Akzente für eine Neuausrichtung des Mediums Radio. In den folgenden zwei Jahrzehnten brachte Becker zahlreiche Lyrik-Werke heraus, darunter die Gedichtbücher Odenthals Küste (1986) und Das Gedicht der wiedervereinigten Landschaft (1988). Jürgen Becker arbeitete in den Verlagen Rowohlt und Suhrkamp und war bis 1994 Leiter der Hörspielredaktion des Deutschlandfunks Köln. Er erhielt zahlreiche Preise und Auszeichnungen. So in den letzten Jahren den Uwe Johnson Preis (2001) für den Roman Aus der Geschichte der Trennungen und den Hermann-Lenz-Preis (2006) für das Prosa-Werk Schnee in den Ardennen. 2009 wurde er mit dem Schiller-Ring der Deutschen Schillerstiftung für sein Lebenswerk geehrt, 2011 mit dem Thüringer Literaturpreis.
Claus P. Woitschützke
Jürgen Becker New York 1972
Fotografien
hrsg. Von Boris Becker
gebunden ca. 190 S.
170 s/w-Abbildungen
Sprungturm Verlag Köln
ISBN 978-3-9815061-2-9










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