Hamburg: Photographische Aufnahmen
RENGER-PATZSCH, Albert
Published by Hamburg: Gebrüder Enoch Verlag (1930), 1930
Autopsie, Band 2: Deutsch sprach ige Foto bücher 1918 bis 1945
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Enoch und Ellermann. Zwei deutsche Fotobuchverlage der zwanziger und dreißiger Jahre
In der PHOTONEWS-Ausgabe Mai 2008 erschien das Themenheft “Das Fotobuch”, das von Christoph Schaden redaktionell betreut wurde. Vieles hat sich seither in diesem Genre getan. Wir veröffentlichen hier nochmals einen Beitrag von Roland Jaeger, der sich mit einem historischen Thema befasste.
Wer sich bei antiquarischen Fotobüchern nicht auf die international kanonisierten und entsprechend hochpreisigen Spitzentitel beschränken möchte, kann unter den deutschen Verlagsprodukten der Zwischenkriegszeit durchaus noch viele interessante und bezahlbare Titel entdecken. Sammlerglück führt allerdings nur dann auch zu Erkenntnisgewinn, wenn buchkundliche, verlagsgeschichtliche und fotohistorische Informationen in einen produktiven Zusammenhang gebracht werden. Am Beispiel von zwei Hamburger Verlagen, die in den zwanziger und dreißiger Jahren durch bemerkenswerte Fotobücher hervorgetreten sind, lässt sich dies verdeutlichen.
Das Programm des 1913 in Hamburg gegründeten Gebrüder Enoch Verlags umfasste anfangs Belletristik, Geschichtswerke und Stadtpläne. Erst mit dem 1923 erfolgten Eintritt von Kurt Enoch (1895-1982) in das väterliche Unternehmen gewann der Verlag an Profil. Gefördert wurde nun der literarische Nachwuchs, darunter Klaus Mann, dessen erste Schriften hier erschienen sind. Der zweite Schwerpunkt, nämlich fotografisch illustrierte Werke, verdankte sich eher einem Überraschungserfolg. Denn als passionierter Wintersportler war Enoch im alpenfernen Hamburg das unternehmerische Wagnis eingegangen, eine aufwändige Publikation über das Wunder des Schneeschuhs. Ein System des richtigen Skilaufens und seine Anwendung im alpinen Geländelauf (1925) zu verlegen. Dabei handelte es sich um das erste kinematographische, also den Bewegungsablauf in Form von Filmstreifen abbildende Sportlehrbuch. Die Aufnahmen ent-stammten den damals populären Filmen von Arnold Fanck und Sepp Allgeier.
Für Bibliographen und Büchersammler stellt der von Fanck zusammen mit Hannes Schneider, einem Skilehrer und Meisterläufer, herausgegebene Titel wegen seiner Auflagen und Ausstattungsvarianten eine echte Herausforderung dar. So liegt die erste Auflage von 1925 (1.-5. Tsd.) gleich in zwei leinengebundenen Varianten mit Schutzumschlägen vor – einbändig mit am hinteren Deckel in einer Tasche beigelegten Reihenbildern oder zweibändig in einem fotoillustrierten Karton. Kleinere Unterschiede weisen auch die 2. Auflage von 1926 (6.-10. Tsd.), die 3. Auflage von 1928 (11.-15. Tsd.) und die 4. Auflage von 1930 (16.-18. Tsd.) auf. Außerdem knüpfte der Verlag an seinen Erfolgstitel mit einem zweiten Band an, dem von Ernst W. Baader und Hans Schneeberger bearbeiteten, wiederum mit kinematographischen Reihenbildern illustrierten Buch Wunder des Schneeschuhs. Sprunglauf – Langlauf (1926), das leinengebunden und kartoniert herauskam. Später folgte noch Das Bilderbuch des Skiläufers (1932) von Arnold Fanck mit einer Einführung in die neue Bewegungs-Fotografie. Es bildete den Auftakt einer geplanten Reihe „Kinematographische Bilderbücher“, die jedoch nicht weitergeführt wurde. In zeittypischer Weise dokumentieren alle diese Bände die damalige Faszination für den Film und stellen den Versuch dar, dessen Darstellungsform in das Medium Buch zu übersetzen.
Gleichzeitig lenken diese Titel den Blick auf die Gattung der fotografischen Berg- und Schneebücher. Der Gebrüder Enoch Verlag hat hierzu mit den Veröffentlichungen des Alpinisten, Schriftstellers und Fotografen Henry Hoek (1878-1951) noch weitere Beiträge geleistet. Neben Pistenführern und eher unterhaltender Après-Ski-Literatur gehören dazu die vier „Hoek-Enoch-Bergbücher“ über Schweizer Alpenregionen:Parsenn (1931), Ma bella Engiadina (1932), Davos (1934) und Zermatt (1936). Die Bände kamen in kartonierter und leinengebundener Form heraus und erschienen, wie so oft im Verlagswesen, bereits zu Weihnachten des dem bibliographisch maßgeblichen Datum vorausgehenden Jahres. Sie zeichnen sich neben ansprechender Fotografie durch eine sachliche typographische Ausstattung aus, für die der Buchgestalter Siegfried Buchenau (1892-1964) verantwortlich war. Die markanten, fotomontierten Umschläge dieser Bücher stammen hingegen von dem Avantgarde-Gebrauchsgraphiker César Domela-Nieuwenhuis (1900-1992), der Ende der zwanziger Jahre eine Nichte des Kunsthistorikers Aby Warburg geheiratet und so auch Kontakt zu Hamburger Kreisen bekommen hatte.
Der Verleger Kurt Enoch wiederum war mit dem jungen Bankier Eric Warburg befreundet, der sich damals für eine moderne werbliche Selbstdarstellung seiner Heimatstadt engagierte. Da die Familie Warburg auf Empfehlung des Kunsthistorikers Carl Georg Heise gerade den Fotografen Albert Renger-Patzsch (1897-1966) zu fördern versuchte, entstand der Gedanke, diesen mit einem fotografischen Portrait der Hansestadt zu beauftragen. Das Ergebnis war der von Hamburgs Oberbaudirektor Fritz Schumacher eingeleitete Band Hamburg (1930), der zu Weihnachten 1929 im Gebrüder Enoch Verlag erschien. Die Einbandgestaltung schuf der Hamburger Gebrauchsgraphiker Bruno Karberg (1896-1967), den vorder- und rückseitig aus Abzügen von Renger-Patzsch fotomontierten Umschlag lieferte César Domela. Das Buch vereint ‘symbolisch’ zugespitzte Aufnahmen aus Hafen, Stadt und Alstergegend zu einem facettenreichen Gesamtbild von Hamburg. Allerdings ist dem Band etwas der Charakter des Auftragswerks anzumerken, so dass er nicht ganz an die Bedeutung anderer Bücher des Fotografen heranreicht. Die Zusammenarbeit mit dem Gebrüder Enoch Verlag war jedoch positiv verlaufen, so dass Heise anregte, Renger-Patzsch möge dort doch ein Folgewerk zu Die Welt ist schön veröffentlichen. Wohl wegen der Weltwirtschaftskrise ist es nicht zu einer Realisierung dieser Pläne gekommen. Dafür finden sich Aufnahmen von Renger-Patzsch noch in einem weiteren Titel des Verlags, dem von Rolf Voigt eingeführten Werk Hände. Eine Sammlung von Handabbildungen großer Toter und Lebender (1929, 2. Aufl. 1930).
Die Lücke, die der Gebrüder Enoch Verlag in Hamburg im Bereich der Fotobücher hinterlassen hatte, wurde durch den 1934 gegründeten Verlag Heinrich Ellermann ausgefüllt. Allerdings bildete auch hier zunächst Literarisches den Schwerpunkt des Programms, zumal der Verleger promovierter Philologe war. Denn Heinrich Ellermann (1905-1991) etablierte damals die Reihe „Das Gedicht – Blätter für die Dichtung“, in der Lyrik der expressionistischen und zeitgenössischen Moderne schlicht und preiswert, jedoch typographisch und inhaltlich anspruchsvoll veröffentlicht wurde. Die Publikationen boten damals der nicht nationalsozialistisch infizierten Dichtkunst in Deutschland ein Forum. Auch privat verkehrte Ellermann mit Personen, die dem herrschenden Regime eher distanziert gegenüber standen. So war er mit dem Fotografen Alfred Ehrhardt, den die Nationalsozialisten 1933 aus dessen Lehrtätigkeit an der Landeskunstschule entlassen hatten, befreundet und reiste mit ihm durch Norddeutschland. Ein Arbeitsergebnis dieser Exkursionen bildeten Ehrhardts Aufnahmen der Wattlandschaft, die 1936/37 erfolgreich ausgestellt wurden. Ellermann entschloss sich daraufhin zur Herausgabe von Ehrhardts Bildband Das Watt (1937), der thematisch und motivisch an Gutschows See, Sand, Sonne anknüpfte – und zum Ausgangspunkt eines zweiten Programmschwerpunkts des Verlags im Bereich der Fotobücher werden sollte. Das bei A. Wohlfeld in Magdeburg im Tieftonverfahren (nicht Tiefdruck!) gedruckte Buch liegt in einer Ganz- und einer Halbleinenausgabe vor, jeweils mit vorderseitig fotoillustriertem Umschlag. Wie damals fast alle größeren Fotobücher wurde es in einem titelbedruckten Kartonschuber ausgeliefert; die Auflage betrug beachtliche 8.000 Exemplare.
In gleicher Ausstattung veröffentlichte der Verlag Heinrich Ellermann noch Bücher anderer Fotografen: Insel Rügen (1938) von Justus Böttcher, Spielende Kinder (1940) von Hans Haustein, Der Cismarer Altar (1941) und Die Gregorsmesse des Bernt Notke(1941) von Wilhelm Castelli sowie Das Bardowicker Chorgestühl (1943) von Theodor Voigt. Wenngleich es sich dabei um handwerklich solide Werke handelt, werden sie in foto(buch)geschichtlicher Hinsicht überragt vom – neben Ehrhardts Watt – wichtigsten Titel des Verlags, der zu den besten deutschen Fotobüchern der 1930er Jahre zählt:Der Hafen(1939) von Rolf Tietgens (1911-1984).
Die Zeitumstände wirkten sich auch auf den Verlag Heinrich Ellermann aus, indem der Verleger zum Kriegsdienst eingezogen wurde und seine Buchproduktion bald zum Erliegen kam. Nach dem Krieg setzte Ellermann mit der von Carl Georg Heise herausgegebenen Reihe „Norddeutsche Werkmonographien“ die Tradition der Fotobücher zwar noch kurz fort, doch erschienen in seinem Verlag nun vor allem Schul-, Jugend- und Bilderbücher. Nach mehrfachem Verkauf verbindet die heute in Hamburg namentlich noch bestehende Firma nichts mehr mit dem ursprünglichen Unternehmen. Wie im Falle des Gebrüder Enoch Verlags sind damit auch die Fotobücher des Verlags Heinrich Ellermann längst zu Dokumenten nicht nur der Fotogeschichte, sondern auch der Verlagsgeschichte geworden.
Roland Jaeger
Roland Jaeger